Die Wärmflasche

Sie war in altrosa Strickstoff gehüllt, oben krönte sie ein grauer Plastikkragen mit Schraubverschluss. Miriam nahm die Wärmflasche aus dem Geschenkpapier und betrachtete sie von allen Seiten. Dann entdeckte sie den gestickten Aufdruck in der rechten oberen Ecke. "Wir spenden Wärme – Samariterverein Winterstadt".

Miriam blinzelte zwei Mal, legte den Kopf schief und liess dann die Wärmflasche auf ihren Schoss sinken. Es war allgemein bekannt, dass ihre Schwiegermutter sparsam war und ihr Geld am liebsten dort liess, wo es war – auf der Bank. Oder unter ihrer Matratze. So genau wusste Miriam das nicht. Nur, dass reichlich davon vorhanden war. Wahrscheinlich wird sie es, statt ihren Kindern, einer wohltätigen Organisation vermachen. Zum Beispiel dem Samariterverein in Winterstadt. Wo lag der Ort überhaupt? In der Nähe von Hamburg? Miriam betrachtete die Schatten, die sich in die Länge zogen und die Wohnung in Dämmerlicht tauchten.

Neben der Wärmflasche lag ein zweites Geschenk, noch unausgepackt. «Stephan» hatte ihre Schwiegermutter mit schwarzem Filzstift schwungvoll auf das braune Packpapier geschrieben. Was sie ihm wohl schenken würde? Eine Bibel aus einem Hotelzimmer? Eine Zehnerpackung Streichhölzer? Damit ihm endlich mal ein Licht aufginge, wie sie immer zu sagen pflegte? Oder vielleicht eine Packung Pralinen aus dem Discounter? Solche mit Schnaps, die sie nicht mochte? Miriam schnaubte. Sie würden es herausfinden.

Drei Stunden später war der Abfalleimer unter der Spüle um zwei Gegenstände reicher: Ein Taschenbuch mit dem Titel "Das 1 x 1 der Kommunikation" und eine Wärmflasche in altrosa. Stephan hatte seinen Augen nicht getraut, als er die Klebstreifen vom Packpapier gelöst hatte. "So einen Frechheit!" hatte er gerufen und das Buch auf den Tisch geworfen. Die nächste Stunde hatte er telefonierte. Mit seiner Schwester. Er hatte erfahren, dass sie ein Kochbuch von ihrer Mutter erhalten hatte. Und dass die Wärmflasche bei einer Freundin ihrer Mutter zu Verbrühungen an den Oberschenkeln geführt hatte. Sie war offenbar nicht dicht. Die Freundin hatte die Wärmflasche bei ihrer Mutter entsorgt. Und diese hatte sie offenbar wieder aus dem Müll geholt und in Packpapier gewickelt.

"Sie ist nicht nur ein Geizkragen, sondern auch noch böse", sagte Stephan und presste seine Lippen zu einen schmalen Strich zusammen. Miriam schwieg. Für sie war das nichts Neues. Ihre Schwiegermutter war ihr schon immer mit Ablehnung begegnet, nun war offenbar Hass daraus geworden. Aber warum? Noch im letzten Jahr hatten sie Weihnachten miteinander gefeiert. Hatten Stephans Mutter bei sich zu Hause im Gästezimmer untergebracht. Damit sie ihnen möglichst nah sein konnte, so ihr Wunsch. Ha! Es war ganz einfach billiger.

Ihre eigene Mutter übernachtete in einem Hotel während der fünf Tage, in der beide Mütter zu Besuch waren. Ihre Schwiegermutter hätte sie zu gern ausquartiert. Nichts war ihr recht gewesen in Miriams und Stephans neuer Wohnung. Die Küche zu modern, das Bad zu kalt. Der Holzboden zu strukturiert. Die Aussicht: naja. Früher hatte man den Fernsehturm gesehen. Und nun? Sie hatte pausenlos gemeckert. Bis Miriam der Kragen geplatzt war. Sie hatte ihr nahe gelegt, zu gehen. Na gut, sie hatte sie rausgeschmissen. Und Stephan, der seine Mutter sonst immer verteidigt hatte, war ebenfalls dafür, dass sie baldmöglichst abreiste. Und nächstes Mal ein Hotelzimmer nehmen würde.

Doch ein nächstes Mal würde es nicht geben. Das hatte ihnen die Schwiegermutter kurz vor Weihachten am Telefon klar gemacht. Sie würde ihre Geschenke schicken und die Feiertage mit lieben Menschen verbringen. Nicht solchen wie ihnen also. Prima, war Miriams erster Gedanke. Sehr gerne, ihr zweiter.

Stephan rief seine Mutter einige Tage nach Weihnachten an. Er wünschte ihr ein frohes neues Jahr und erwähnte beifällig, dass er das Buch und die Wärmflasche etwas geschmacklos gefunden hatte. Und vor allem gefährlich. Wie sie so etwas schenken konnte?

"Wieso gefährlich?", hörte Miriam die krächzende Stimme ihrer Schwiegermutter durchs Telefon. Ob wir sie schon ausprobiert hätten? Nein. Na also. Wir sollten nicht so undankbar sein. Eine Wärmflasche könnte man immer gebrauchen. Vor allem jetzt, wo man die Heizung herunter drehen und Energie sparen sollte. Aber sie merke schon, man könne es uns nicht recht machen. Dann legte sie auf.

Stephan blickte ungläubig zu Miriam. Dann ging er in den Flur, zog Schuhe und Jacke an, nahm sein Telefon und seine Schlüssel und öffnete die Wohnungstür. "Kommst du?" rief er über die Schulter. "Die Läden sind noch eine Stunde offen. Wir finden sicherlich ein schönes Geschenk." In der Wohnung blieb es ruhig. Stephan trat hinaus und zog leise die Tür ins Schloss.

02/01/2023

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