Morgen um diese Zeit bin ich tot. Zumindest, wenn alles nach Plan verläuft.
Sie haben sich für 7 Uhr angemeldet, eine Ärztin, zwei Mitarbeiter der Organisation. Sogar eine Kamera wollen sie mitnehmen, um alles zu filmen. Ich musste in den letzten Tagen viele Papiere unterschreiben und habe zuletzt die Überweisung getätigt. Mein Konto ist nun fast leer, aber das macht nichts. Ich brauche das Geld nicht mehr.
Man stellt es sich ganz anders vor. In den Filmen und Büchern, wenn es heisst: Du hast nur noch einen Tag zu leben. Dann wollen alle noch einmal alles geben, nachholen, was versäumt wurde, um Entschuldigung bitten, geniessen, leben, feiern, mit den Liebsten zusammen sein. All das will ich nicht.
Ich bin heute früh kaum aus dem Bett gekommen. Jeder Tag ist nun schlimm. Ohne Morphium kann ich mich nicht mehr bewegen. Zum Anziehen kommt eine Nachbarin, nun schon seit zwei Monaten. Ab morgen ist sie von ihrem Freiwilligendienst befreit. Auch das Frühstück bereitet sie mir zu. Dann sitze ich auf dem Sofa oder liege im Bett, je nach Schmerzen. Ans Telefon gehe ich selten, meistens habe ich keine Lust, mit jemandem zu reden. Auch das Sprechen ist anstrengend geworden.
Es war meine Entscheidung, den Krebs nach der Operation nicht weiter behandeln zu lassen. Noch einmal Chemotherapie - auf keinen Fall! Die Bestrahlung hat nicht viel genützt. Der Krebs ist auf Wanderschaft gegangen und hat sich wie ein Dobermann an meinem Oberarmknochen festgebissen. Dort sitzt er nun und raubt mir die Lebensfreude. Und den Lebenswillen. Ich will mein Ende nicht im Delirium in einem Krankenbett verbringen. Ich will die Fäden bis zum Schluss in der Hand halten.
Morgen um 8 Uhr ist es so weit. Ich werde das Ventil aufdrehen und das Gift in meinen Körper leiten. Ich werde nichts spüren, sondern friedlich einschlafen, hat man mir mehrfach versichert.
Was ich heute, an meinem letzten Tag auf Erden mache? Nicht viel. Selbst fernsehen ist anstrengend geworden, lesen kann ich schon länger nicht mehr. Ich denke in letzter Zeit oft über mein Leben nach. Episoden aus der Kindheit fallen mir ein. Meine Brüder. Meine Eltern. Bald werde ich wieder mit ihnen vereint sein. Ja, schon morgen. Eigentlich freue ich mich darauf. Alles loslassen. Es gut sein lassen.
Etwas aufgeregt bin ich dennoch. Wer hat schon eine Ahnung davon, wie es ist, per Knopfdruck zu sterben?
Morgen um diese Zeit weiss ich es. Aber ich werde es niemandem erzählen können.