Neulich beim Schönheitschirurgen

Erst war sie skeptisch gewesen. Doch nach der Begrüssung durch eine stark geschminkte junge Dame durften sie und ihre Freundin auf Sesseln Platz nehmen und mit Prosecco anstossen. Dazu gab es kleine Häppchen mit Ei und Lachs. Emma war begeistert, das fing ja gut an.

Ihr Mund war noch voll, als ihre Freundin bereits für ihren Eingriff abgeholt wurde. Botox wollte sie sich spritzen lassen. Zwischen die Augenbrauen. Ihre Zornesfalte hatte sie schon lange gestört. Sie wirke stets aggressiv und kritisch, dabei sei sie das gar nicht. Dann hatte ihre Freundin gelacht und gesagt: Alle paar Wochen eine Spritze, das wars. Sie fühle sich nun viel besser. Emma sollte doch auch mal mitkommen. Die könnten in dem Salon wahre Wunder bewirken.

Nun sass sie also da. Leicht beschwipst und den Mund voller Ei. Ihre Lippen hatten einen fettigen Abdruck auf dem Glas hinterlassen. Als sie wenig später auf einem Stuhl wie beim Zahnarzt Platz nahm und in das helle Licht über ihrem Kopf blinzelte, fühlte sie, dass ihre Achseln nass wurden. Der junge Mann mit dem osteuropäischen Akzent war nett, lachte aber mehr, als dass er sprach. Er bat Emma sich zu entspannen, dann fuhr er ihren Sessel in eine liegende Position. Er würde zunächst mit dem rechten Auge beginnen, hörte Emma noch, dann spürte sie einen Picks am oberen Lid und dämmerte weg.

Sie träumte vom Tauchen. Sah goldfarbene Fische und rot leuchtende Korallen. Ihre Taucherbrille drückte plötzlich und zog ihr die Haut nach hinten. Ihre Augen brannten. Hatte sie Meerwasser im Gesicht?

Sie wachte auf, als der Verband um ihre Augen gelöst wurde. Der Arzt stand mit einem Grinsen vor ihr und drückte ihr einen Spiegel in die Hand. Dann deutete er erst auf das rechte Augenlid, dann auf das linke. Emma blinzelte. Ihre Augen tränten. Sie sah nur ihre verschwommenen Umrisse.

Gut, dass ihre Freundin auf sie wartete und sie mit ihrem Auto nach Hause brachte. Sie solle sich hinlegen und sich für die nächsten Tage nichts vornehmen, hatte es geheissen. Sie hatte den Eingriff gut geplant; die Ostertage standen vor der Tür. Emma würde zu Hause bleiben und abwarten, bis die Schwellung an den Lidern abgeklungen war.

Doch auch am Dienstag nach Ostern, als sie wieder ins Büro musste, sah sie aus wie eine Preisboxerin. Allerdings ohne Preis. Emma trug ihre Sonnenbrille auch am Schreibtisch. Ihre Kolleginnen wussten, dass sie einen Eingriff gehabt hatte. Was genau, jedoch nicht.

Das Rot, Lila, Grün und Gelb auf ihren Lidern wich mit der Zeit. Emma stand lange vor dem Spiegel. Sah sie anders aus als zuvor? Sie schickte ihrer Freundin ein Foto. Zog die Lider nach oben, die an der Naht immer noch ein wenig spannten. Sie könnte es sich einbilden, dass sie ein bisschen weniger hingen. Aber sie glaubte es nicht. Die OP war ein Reinfall gewesen. Sie würde ihre Schlupflider behalten. Ob sie sich beschweren sollte? Das war wohl sinnlos, die würden nur auf das Kleingedruckte verweisen. Dass man nichts garantieren könne und so.

Ach was, die Lidkorrektur war eh eine Schnapsidee gewesen. Eigentlich mochte sie ihre Augen. Eulen waren geheimnisvolle Tiere. Sie würde niemandem von der missglückten Operation erzählen.

25/03/2024

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