"Kennst du diese Kurzgeschichte, ich weiss gerade nicht von wem, in der ein Zug in einen Tunnel fährt und nicht mehr heraus kommt?"
"Sagt mir gerade nichts. Was passiert denn?"
"Ich kann mich nicht mehr erinnern. Du weisst doch, dass ich den Inhalt eines Buches in dem Moment vergesse, wenn ich nach der letzten Seite den Buchdeckel zuklappe. Ich glaube, die Geschichte geht nicht gut aus. Sie fahren direkt in die Hölle oder so ähnlich."
"Das klingt nicht gut. Stell dir vor, das würde wirklich passieren. Kein Mensch würde mehr einen Fuss in einen Zug setzen!"
"Oder nur noch Suizidgefährdete und Adrenalinjunkies."
"Es hätte aber auch Vorteile, nie anzukommen: Dann müssten wir nun nicht an diese Fortbildung, für die wir unser Wochenende opfern. Und dann noch dieses schlechte Zugverbindung."
"Na ja, lieber an die Fortbildung, als geradewegs ins Nirvana."
"Vielleicht wäre es ja gar nicht das Ende, das uns erwarten würde. Vielleicht gäbe es dort, wo der Zug hinfährt, eine eigene, ganz andere Welt. Einfach eine ohne Rückkehr."
"Du bist heute aber fatalistisch drauf. Verlief der Restaurantbesuch zu eurem Jahrestag gestern Abend nicht wie erwartet?
"Frag besser nicht. Manchmal fühle ich mich in unserer Beziehung wie eine Spacex-Rakete, die nicht zurück zur Basis findet."
"Nun komm schon. Drei Jahre habt ihr es nun schon miteinander ausgehalten. Das wirft man nicht einfach so weg."
"Du hast ja recht. Aber ich garantiere für nichts, wenn der hübsche Tierarzt aus Osnabrück an der Fortbildung ist."
"Der, mit dem du dich letztens so gut verstanden hast?"
"Ja, der Oli, genau. Mal sehen, Diabetes bei Kleintieren ist nicht unbedingt sein Fachgebiet."
"Du, sag mal Doris, wie lange sind wir nun schon in dem Tunnel? Auf der Strecke gibt es doch gar keine so langen."
"Hab nicht aufgepasst. Aber sicher schon einen Moment."
"Die anderen Fahrgäste scheinen nicht beunruhigt. Wird schon alles seine Ordnung haben."
"Ja, natürlich. Wir sind ja schliesslich nicht in einer apokalyptischen Geschichte."
"Mir geht das hier zu lange. Ich suche mal den Schaffner."
"Bringst du mir einen Kaffee aus dem Bordbistro mit. Gerne mit Milch und Zucker."
"Mensch, wie kannst du jetzt ans Kaffeetrinken denken! Wir fahren unserem Ende entgegen!"
"Nun übertreib mal nicht."
"Jetzt werden wir auch noch langsamer. Am Ende stecken wir im Tunnel fest!"
"Keine Sorge, Inga, dafür gibt es Evakuierungspläne. Schau, dort oben hängt ein Nothammer, damit kann man die Scheibe einschlagen."
"Du nimmst mich nicht ernst! Jetzt bleiben wir ganz stehen. Ah, jetzt kommt eine Durchsage.
Technische Probleme? Wie bitte? Und das mitten in einem Tunnel? Doris, das kann doch nicht wahr sein!"
"Siehs doch mal so: Jetzt kommen wir vielleicht nicht rechtzeitig zu dem Kongress und müssen am Ende wieder zurück nach Hause."
"Aber dann sehe ich ja Oli gar nicht!"
"Du weisst doch nicht mal, ob er kommt. Hey, was machst du? Den Nothammer darf man nur benutzen, wenn der Schaffner die Anweisung dazu gibt. Stop, Inga, nicht die Scheibe...!"
"Das bracht ja richtig Kraft! Hätte ich nicht gedacht. So, die Scheibe ist weg. Doris, ich ziehe das jetzt durch. Ich will raus aus dem Tunnel. Kommst du mit?"
"Ich klettere doch jetzt nicht in den Tunnel. Das ist gefährlich!"
"Ich bin dann mal weg. Machs gut."
"Inga, warte! Na gut, ich komme mit. Huch ist das hoch. Und dunkel! Wo bist du, Inga?"