Das Haus

Als die schmale Strasse endete, stand es da. Ein altes Bauernhaus. Die Fassade von der Sonne verbrannt. Das Gebäude duckte sich unter dem ausladenden Dach, das es zu erdrücken schien. Drum herum Scheunen, wie hingewürfelt.

Ilona parkte ihr Auto, dort, wo die geteerte Strasse in eine Wiese überging. Sie betrachtete die Umgebung rund um die Mulde, in dem sich das Haus und der Rest des Dorfes befanden. Verdorrtes Gras, Bäume, die im Wind ächzten. In der Ferne Berge, oben bereits weiss.

Sie holte ihr Handy aus der Jackentasche, kontrollierte den Standort. Hier musste es sein. Sie ging auf das Haus zu, hielt nach der Eingangstüre Ausschau. Keine Klingel, kein Schild. Sie öffnete die erstbeste Türe, die sie optisch an die Alphütten erinnerte, an denen sie im Sommer beim Wandern vorbeikam. Sie waren schön anzuschauen in der Landschaft. Manchmal renoviert. Manchmal ganz einfach. Betreten hatte Ilona noch nie eine.

Hinter der Türe: Dunkelheit. Ilona steckte den Kopf hinein, erkannte schemenhaft Geräte und Werkzeug. Sie schloss die Türe rasch wieder und ging weiter. Die nächste Tür. Gleiche Optik. Ilona zögerte kurz, drückte dann aber die einfache Metallklinke nach unten. Dahinter eine Treppe nach oben. Geradeaus führte ein Gang. Am Ende wieder eine Tür. Zunächst probierte es Ilona mit dem Gang. Hinter der Tür ging es ins Freie. In einem Hackstock steckte eine Axt. Auf einem Haufen lagen Holzscheite.

Dann also die Treppe. Ilona stieg die Stufen hinauf und kam sich wie eine Einbrecherin vor. Was, wenn sie im falschen Haus war? Sie versuchte, ein Knarren der Treppe möglichst zu vermeiden und verlagerte ihr Gewicht langsam auf die ausgetretenen Holzstufen. Oben angekommen zog sie den Kopf ein, das Dach schien auf ihren Schultern zu ruhen. Wieder eine Holztür. Ilona klopfte, laut und vernehmlich. Sie lauschte in die zunehmende Dämmerung, die sich im Haus auszubreiten schien. Staub wirbelte durch die Luft. Als sie die Faust hob, um noch einmal anzuklopfen, wurde die Tür geöffnet. Ein kleines Mädchen schaute mit offenem Mund zu ihr hoch.

"Hallo", sagte Ilona. "Bin ich hier richtig bei Schneiders?"

Das Mädchen schien sie nicht verstanden zu haben und schloss langsam die Türe. Ilona blieb stehen, unsicher, ob sie warten oder ihr Vorhaben aufgeben sollte.

Ruckartig wurde die Tür aufgerissen. Ilona zuckte zusammen. Ein blonder Riese stand in der Tür. Sein Kopf schien die Holzdecke zu berühren. "Wir kaufen nichts", fuhr er Ilona an und verschränkte die Arme.

"Ich verkaufe nichts", beeilte sich Ilona zu sagen. Ich bin wegen ihrer Anzeige da. Also wegen dem Hasen. Ich habe mich für heute um 17 Uhr angemeldet. Ilona Meister mein Name."

Der Mann musterte sie. "Hasen? Haben wir nicht. Sie wollen wohl zu unseren Nachbarn, die haben so Getier." Er grunzte. Dann schob er Ilona vor sich her, indem er über die Türschwelle trat. Ilona wich auf die erste Treppenstufe zurück und griff nach dem Geländer. "Da drüben." Der Mann schob seinen baumstammdicken Arm über Ilonas linke Schulter. "Versuchen Sies mal da." Dann trat er zurück und warf die Tür ins Schloss.

Ilona eilte die Treppe hinab, durch den Garten und zu ihrem Auto. Drinnen verriegelte sie die Tür und schloss die Augen, konzentrierte sich auf ihren Atem. Einatmen, ausatmen. Immer wieder. Dann steckte sie den Schlüssel in die Zündung und setzte über die Wiese zurück. Keine Ahnung, wo sie den Hasen für die Tochter ihrer Freundin abholen sollte. Noch ein Haus würde sie in diesem Dorf nicht betreten.

19/02/2024

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